Die Inseln der Paradiesvögel

365 Strände und Buchten mit Sonnenschein-Garantie rund ums Jahr, dazu malerische Naturhäfen und ein Stück vom Garten Eden, das ist Antigua. Die kleine Schwesterinsel Barbuda trumpft mit idyllischer Einsamkeit.

erschienen in »Reise & Preise«; R & P Verlag
© Regina Fischer-Cohen

Genial! So also fühlt es sich an, wenn man in einer Postkarte erwacht. Warm und puderzuckerweich schmiegt sich der schneeweiße Sandstrand mit jedem Schritt unter die Fußsohlen. Kuschlig warm empfängt einen auch das Meer, das stets so aussieht, als habe es gerade das ganze Licht des Himmels geschluckt. Und wenn man hinausschwimmt, wird man von bunten Fischen umschwärmt, während unten in der Tiefe riesige Seesterne leuchten.
War ja klar, dass so altgediente und vom Luxus verwöhnte Promis wie etwa Robert DeNiro oder Giorgio Armani sich bei der Wahl ihres Feriendomizils nicht irren konnten. Klar auch, dass diese Idylle ihren Preis hat. Sollten Sie mit einer Handvoll Freunden locker 50.000 US-Dollars erübrigen können: Eric Clapton überlässt Ihnen dafür gern sein prachtvolles Anwesen auf einem der malerischen Hochplateaus über English Harbour – für eine Woche. Zum Glück finden sich aber durchaus romantische Unterkünfte, für die man nicht extra eine Bank überfallen muss. Und dann erwacht man an einem dieser Traumstrände, die man am liebsten nie mehr verlassen möchte. Wie, zum Beispiel, Jolly Beach, der sich kilometerlang und palmengesäumt im Westen der Insel erstreckt. Genauso wie der berühmte Strand an der Dickenson Bay. Oder auch der Partystrand Runaway Bay. Und natürlich fährt man irgendwann an die Atlantikküste zur Halfmoon Bay, und … WOH! Laut Tourismuswerbung warten an Antiguas zerklüfteter Küste mit den vorgelagerten Inseln genau 365 Strände. Und selbst wenn manche wie Privatbesitz erscheinen - laut Verfassung sind sie alle für jedermann frei zugänglich – auch auf Barbuda. Spricht also nichts dagegen, sich mal ganz ungehemmt unter Promis und Geldadel zu mischen. Eine Sunshine-Garantie rund ums Jahr gibt es noch dazu. Denn sollte es tatsächlich einmal regnen, genießt man das wie die Einheimischen lächelnd als flüssigen Sonnenschein.

Obama im Garten Eden
Politik ist nun wirklich das Letzte, womit man sich in dieser Umgebung beschäftigen möchte. Doch da erscheint Mearl. »This Mama is for Obama« verkündet ein leuchtender Schriftzug auf ihrem T-Shirt. Eine Aussage, die sie mit ihren Kurven in dem hautengen Teil aufs Schönste  unterstreicht. Das macht neugierig. »Er ist unser Idol«, lächelt die junge Frau, die als Maklerin tätig ist und mich spontan zu einer Spritztour in den Süden einlädt. Immer an der Küste entlang, geht es an so idyllisch gelegenen, nahezu menschenleeren Stränden wie Ffryes Bay und Darkwood Beach vorbei. Malerisch erheben sich dazu auf der Landseite die grün überwucherten Ausläufer der Shekerley Mountains. Wie fast alle Antiguaner hofft auch Mearl, dass der erste farbige US-Präsident es noch schaffen wird, in der Weltpolitik Berge zu versetzen. »Auf einen Berg, der seinen Namen trägt, kann er auf unserer Insel zumindest schon mal verweisen«, strahlt sie stolz, als hinter dem kleinen Küstendorf Old Road die mit 396 Metern höchste Inselerhebung sanft in den Himmel ragt. Spontan aus dem Bauch heraus hatte Premierminister Baldwin Spencer initiiert, dass das Vulkanmassiv nicht mehr Boggy Peak sondern Mount Obama heißen solle. Unter dem Jubel der überwiegend schwarzen Bevölkerung wurde die Umbenennung dann am 4. August 2009 offiziell. Genau zum Finale des zehntägigen Karnevals mit dem man hier das Ende der Sklaverei feiert. So sieht karibische Begeisterung und Leidenschaft aus.

Wie Tarzan durch den  Regenwald
Kurz tief Luft holen, Helm auf, Trapezhose an - dann folgt mit der Rainforest Canopy Tour am Fig Tree Drive gleich der ultimative Kick. »Ready? GO!« ruft Rangerin Conny enthusiastisch, nachdem sie die beiden Karabiner, an denen jetzt mein Leben hängt, sorgfältig in die schwere Laufrolle am Stahlseil eingeklinkt hat. Mit einem Schubs rutschen die Füße vom Podest im Baumgeäst. Ein gellender Schrei. Das Adrenalin schießt. Und schon geht es in schwindelerregender Höhe mit rasantem Tempo über die Wipfel des Regenwaldes hinweg. Was für ein Kick. Und doppelt schön, weil man die abenteuerliche Rainforest Canopy Tour mit reinem Gewissen genießen kann. »Die neun Zip-lines zerstören die Natur nicht, und der Profit, den die Anlage bringt, ist tatsächlich ein Garant dafür, dass dieses letzte Stück vom Regenwald erhalten bleibt«, erklärt Ranger Patrick im angrenzenden Wallis Schutzgebiet, wo er sich seit Jahren mit der Rekultivierung beschäftigt. Was die Zuckerbarone einst so rücksichtslos abholzen ließen, wächst halt nur schwer wieder nach. Und dennoch fühlt man sich wie im Garten Eden, sobald man an der herrlichen Carlisle Bay über den Fig Tree Drive ins Landesinnere fährt.

Wadadli – das kühle Blonde aus der Karibik
Lust auf ein erfrischend kühles Blondes? Dann sollte es auf Antigua schon ein Wadadli sein. Schwach gehopft, wird es hier aus dem Wasser einer hauseigenen Meerwasserentsalzungsanlage gebraut. Technik und Know-how dafür haben sich die Antiguaner 1993 von dem in Hamburg sitzenden Brauereikonzern Brauhaase geholt. Kein Wunder also, dass Wadadli auf der kleinen Antillen Insel zum Inbegriff für süffiges Qualitätsbier geworden ist. Dabei haben die Arawak und Carib Indianer so einst ihre wunderschöne Insel genannt. Bis Christoph Columbus 1493 in ihrer Gegend aufgekreuzt ist und das Eiland, sozusagen, im Vorbeisegeln, auf den Namen der in Sevilla verehrten heiligen Jungfrau Santa Maria de la Antigua umgetauft hat. Typische Kolonialherrenarroganz. Mit größter Wahrscheinlichkeit hat der Eroberer während seines gesamten Lebens nicht einmal einen Fuß hier an Land gesetzt. Sein Pech, kann man dazu nur sagen.

Partyfeeling und schmucke Jachten
Lord Nelson wusste die Insel allerdings auch nicht recht zu schätzen. »Was für ein verdammtes Drecksloch«, soll er Antigua sinngemäß verflucht haben. Nun war der legendäre Seeheld während der britisch-französischen Kriege im 18. Jahrhundert aber auch schwer damit beschäftigt, Englisch Harbour zum ostkaribischen Hauptstützpunkt der britischen Marine auszubauen. Da fehlte natürlich die Muße, um die Schönheit dieses malerischen Naturhafens von der Festungsanlage Shirleys Heights aus zu genießen. Und das fröhliche jumpin' & jamin' dort oben – diese ausgelassene Party mit Steelband und Barbecue, die einen heutzutage an jedem Sonntag schon mal erahnen lässt, wie sich Antiguas farbenprächtiger Karneval im Sommer anfühlt – die hat er selbstverständlich auch nicht erlebt. Die internationale Yachtie-Szene von heute weiß das einzigartige Ambiente auf jeden Fall sehr wohl zu schätzen. Und wenn sich an Nelson's Dockyard alljährlich im April die schönsten und schnellsten Privatjachten aus aller Welt zur legendären Classic Yacht Regatta und zur Antigua Sailing Week einfinden,  bekommen nicht nur Segelfans leuchtende Augen

St. John's  - das Herz der Karibik
»Suchst du einen Guide?« Nein, ein Taxi. Aber wenn im Hafen der Inselhauptstadt Saint John's vier gigantische Kreuzfahrtschiffe angelegt haben, sodass es so aussieht, als habe dort jemand die halbe Skyline von Mannhatten ins Wasser geschoben, dann ist das, weiß Gott, kein Tag, um nach einer Fahrgelegenheit zu fragen. Antigua, die Schöne, sie ist längst zum Dreh- und Angelpunkt der imposanten Luxusliner geworden. Schließlich wird sie nicht nur wegen ihrer zentralen Lage als Herz der Karibik bezeichnet. Und ausgerechnet heute schwappen nun Tausende Kreuzfahrer an Land. Verteilen sich für die große Inselhighlight-Tour auf alles, was vier Räder hat. Oder strömen begeistert durch die duty-free Einkaufsoase mit den farbenfrohen historischen Holzhäusern zwischen Heritage und Redcliffe Quay. An einen Besuch der barocken Kathedrale, die zu den imposantesten der Karibik zählt, ist da gar nicht erst zu denken. Geschweige denn, an die bunten Marktstände, die allerdings eh an Atmosphäre eingebüßt haben, seit sie in den großen Hallen am West-Busbahnhof untergebracht sind. »Komm!«, sagt der kleine Dreikäsehoch, der sich als Christoph vorgestellt hat und mich jetzt unnachgiebig vom Nationalmuseum wegzieht, hin zur nahen Autowerkstatt seines Bruders. »Sie will zu Rosie McMaster«, erklärt er dort kurz die Situation, und siehe da – gegen zwei Flaschen Wadadli fährt mich sein Bruder tatsächlich ins wenige Kilometer entfernte Marble Hill. Das nennt man Glück.

Rosies Chilisoße - schärfer geht's nicht
»OK, jetzt wird's echt heiß«, sagt Rosie und beobachtet schmunzelnd, wie ihr Gast plötzlich nach Luft japst, rot anläuft und dann nur noch Rotz und Wasser heult. Ich hätte es ahnen können und spätestens beim »Burning Desire« aufhören müssen. Aber nach den leckeren, fruchtig-pikanten Soßen mit Ananas, Papaya, Mango und Tamarinde und zwei schärferen Varianten musste es ja unbedingt noch ein Cracker mit »Tear Drops« sein. Was für ein Teufelszeug. Wenn man Rosies Familiengeschichte glauben darf, dann hat jedoch Gott höchstpersönlich diese höllisch scharfen Pfeffersoßen in Auftrag gegeben. Vor gut fünfzig Jahren, erzählt Rosie voller Andacht, da hat ihre Mutter Susie niedergekniet und den Himmel angefleht, er möge ihr helfen. Ohne den nutzlosen Vater ihrer Kinder kämpfte sie ums Überleben. Da kam die göttliche Botschaft: entwickle Chilisoßen! So begann die Produktion von »Susie's Hot Sauce«. Für die hat Rosie seit dem Tod ihrer Mutter nun zahlreiche Preise bei internationalen Wettbewerben eingeheimst. Eine Niederlassung in Miami hat sie bereits. Jetzt soll eine in Deutschland folgen. Und das Haus, das die visionäre Geschäftsfrau sich hier im Palm Drive gebaut hat, ist längst viel zu klein. Eine Fabrik muss dringend her. Doch bis es soweit ist, dürfen Antiguas Schulkinder und die Besucher aus aller Welt weiterhin an Rosies heimischen Herd zuschauen, wie sie die Chilis kocht.

Barbuda – roher Diamant im Ozean
»Wenn du dich jemals verloren hast – hier wirst du dich finden«, hatte Cal gesagt, ein passionierter Segler aus den USA, den es immer wieder nach Barbuda zieht. Wie es sich für ein kostbares Juwel gehört, hat Mutter Natur die flache Koralleninsel unauffällig im Meer versteckt und zur Sicherheit noch mit einem Gürtel aus Riffen und Bänken umschlossen. Wer die sagenhaften, endlos erscheinenden Sandstrände in zartem Cremeweiß und Rosa vom Meer her erstrahlen sieht, ist praktisch schon so gut wie aufgelaufen. Mindestens 200 koloniale Segelschiffe sind auf diese Weise zerschellt und zur Heimat unzähliger Tropenfische und Schalentiere geworden. Da hatten die majestätischen Fregattvögel, die mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,30 Metern am Himmel segeln, es natürlich leichter, das Eiland für sich zu erobern. Mittlerweile haben sich über 5000 dieser Flugkünstler in den hiesigen Mangrovensümpfen angesiedelt. Nicht einmal 1500 Einwohner stehen dem gegenüber. Fast alle davon leben in Codrington, der einzigen Stadt, die sich schmucklos und schläfrig hinter der gleichnamigen Lagune ergießt.
Ruhe und Einsamkeit, eine fast unerreichbare Abgeschiedenheit – das sind die wohl kostbarsten Güter unserer Zeit. Und so erschienen eines Tages die Megareichen, Berühmten und Adligen dieser Welt. Doch irgendetwas ist schief gelaufen, denn den berühmten »K Club«, in dem Prinzessin Diana häufig zu Gast war, gibt es nicht mehr. Und auch die ebenso exklusive »Coco Point Lodge« wurde geschlossen. Nur noch das »Lighthouse Bay« ist von den Mega-Luxusresorts verblieben, und zahlreiche Gerüchte machen die Runde.  Aber wen interessiert das alles? Zu zweit allein in einer Hütte am kilometerlangen Palmenstrand – näher kann man dem Paradies auf  Erden wirklich nicht kommen.